Jena, Germany
March 19, 2008
Quelle:
Max-Planck Gesellschaft
Original:
http://www.mpg.de/bilderBerichteDokumente/dokumentation/pressemitteilungen/
2008/pressemitteilung200803171/genPDF.pdf
Ribonukleinsäuren (RNA) spielen
als sogenannte Boten-RNA eine wichtige Rolle bei der Übertragung
genetischer Information - sie liefern die Bauanleitung für die
Herstellung der Proteine in der Zelle. Inzwischen weiß man
jedoch, dass kleine RNA-Moleküle (small RNA) auch vielfältige
regulatorische Aufgaben übernehmen: Sie steuern Art und Verlauf
der Gen-Ausprägung und damit Entwicklungsvorgänge in Tieren und
Pflanzen. Dass small RNAs in Pflanzen auch eingebunden sind in
die Abwehr gegen Fraßfeinde, haben Wissenschaftler um Ian
Baldwin vom Max-Planck-Institut
für chemische Ökologie in Jena erforscht. Die
Wissenschaftler sequenzierten den gesamten konstitutiv
vorhandenen Wortschatz an small RNAs von Tabakpflanzen und
entschlüsselten mithilfe dieses "Wörterbuchs" den Beitrag der
kleinen Moleküle bei der Abwehr von Schadinsekten durch die
Pflanze. (PNAS, Early Edition
13. März 2008)
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Abb. 1: Der in
Nordamerika vorkommende Wilde Tabak (Nicotiana
attenuata) gehört mit zu den ökologisch am
besten charakterisierten Pflanzenarten. Diese
Aufnahme entstand 2006 im Bundesstaat Utah, USA.
Bild: Max-Planck-Institut für chemische
Ökologie/Baldwin |
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Kleine 18 bis 26 Nukleotide lange
RNA-Abschnitte, von den Wissenschaftlern "small RNAs" (smRNAs)
genannt, spielen in Organismen ganz verschiedene Rollen. Für
Pflanzen besonders wichtig ist ihre Funktion bei der Abwehr von
Viren. Mittels RNA-Interferenz können diese kleinen Moleküle
bestimmte Gene quasi stumm schalten, indem sie an die
komplementäre Basensequenz der Boten-RNA binden und somit deren
Übersetzung in das Protein verhindern. Durch diese Interaktion
können kleine RNAs den Ablauf ganzer Signalketten verändern. Die
small RNAs entstehen dabei aus doppelsträngigen
RNA-Vorläufermolekülen, die von bestimmten Enzymen, sogenannten
RNA-Polymerasen (RdRs) hergestellt werden. Gene, die für diese
Art von Enzymen kodieren und RNA-Interferenz somit erst
ermöglichen, haben Wissenschaftler bereits in mehreren
Pflanzenspezies identifiziert.
Shree Pandey und Ian Baldwin wollten feststellen, ob
RNA-Interferenz in Pflanzen bei der Abwehr von Fraßfeinden eine
Rolle spielt und untersuchten dazu die entsprechenden
RNA-Polymerasen aus Wildem Tabak (Nicotiana attenuata). Die
chemischen Inhaltsstoffe von Raupenspeichel signalisieren den
Pflanzen Schädlingsbefall. Bereits eine Stunde nach der
Induktion von Pflanzen mit Raupenspeichel konnten die
Pflanzenforscher eine um den Faktor zehn erhöhte Aktivität von
einem der drei gefundenen Gene, die für RNA-Polymerasen
kodieren, feststellen. Gentechnisch veränderte Pflanzen, in
denen die Aktivität dieses RdR1-Gens abgeschaltet war, waren
gegen Insektenbefall nahezu wehrlos. Im Freiland wurden diese
Pflanzen besonders stark befallen von ihren beiden natürlichen
Fraßfeinden, dem Amerikanischen Tabakschwärmer Manduca sexta und
der Blattwanze Tupiocoris notatus (Plant Journal, 2007). "Das
bedeutet, dass RdR1 entscheidend zur Abwehr in Pflanzen nach
Insektenbefall beiträgt", erklärt Ian Baldwin, Direktor am
Max-Planck-Institut in Jena. Und wenn das Enzym in Aktion tritt,
heißt das, dass auch small RNAs in die Regulation der
Pflanzenabwehr eingebunden sein müssen.
Nächstes Ziel der Forscher war daher, diese kleinen RNA-Moleküle
in befallenen bzw. nicht befallenen Tabakpflanzen aufzufinden,
ihre Sequenz zu bestimmen und nachzusehen, wie sie in die Abwehr
der Pflanzen gegen Insektenfraß eingreifen. Die Wissenschaftler
sequenzierten mehr als 100.000 verschiedene smRNAs, die sie
zuvor aus befallenen und nicht-befallenen Pflanzen isoliert
hatten. Das Ergebnis: 43 Prozent der smRNAs, die sie in
attackierten Pflanzen fanden, waren in den "gesunden" Pflanzen
nicht vorhanden. Lediglich 1224 smRNAs tauchten in beiden
Pflanzengruppen auf, allerdings in unterschiedlichen Mengen.
"Das Auftreten der vielen neuartigen smRNAs nach Raupenbefall
korreliert direkt mit dem rund zehnfachen Anstieg der Expression
des RdR1-Gens in attackierten Pflanzen", erklärt Shree Pandey.
Das heißt, dass die RdR1-Polymerase ganz offenbar an der
Erzeugung dieser smRNAs beteiligt ist.
Und was genau machen nun diese kleinen Helfer im Genom? Eine
bioinformatische Analyse der gefundenen smRNA-Sequenzen zeigte,
dass ein Teil von ihnen direkt jene Gene beeinflusst, die die
Enzyme des Pflanzenhormonstoffwechsels steuern. Eine besondere
Rolle spielt hier das Jasmonat. Dieser Signalstoff reguliert die
Abwehr von Pflanzen gegen Insektenfraß. In transgenen Pflanzen,
in denen das RdR1-Gen abgeschaltet war, waren eine Reihe von
Jasmonatstoffwechsel-Genen "herunterreguliert" - mit dem
Ergebnis, dass diese Pflanzen vergleichsweise stark von
Fraßschädlingen befallen wurden (Plant Journal, 2007). Die
Tatsache, dass bei Fehlen der kleinen RNA-Moleküle bestimmte
Gene in ihrer Aktivität herunter reguliert werden, lässt die
Max-Planck-Forscher vermuten, dass durch RNA-Interferenz
Signalwege nicht nur abgeschaltet, sondern auch eingeschaltet
werden können - ein eher ungewöhnlicher Effekt, der jedoch auch
schon von Humanbiologen für den Menschen beschrieben wurde.
Doch auch alternative Mechanismen seien denkbar, so Baldwin.
Deshalb wollen die Forscher noch einen weiteren potenziellen
Effekt der kleinen RNA-Moleküle, die Tabak nach Insektenbefall
bildet, näher untersuchen: Raupen können nämlich
Vorläufermoleküle für smRNAs, die doppelsträngige RNA, mit ihrer
Blattnahrung aufnehmen. Diese Moleküle, zu smRNAs zerlegt,
schalten dann durch RNA-Interferenz spezielle Insekten-Gene ab,
gegen die sie gerichtet sind. "Wir vermuten deshalb, dass small
RNAs direkt den Raupenfraß bekämpfen, indem sie Verdauungs- oder
Entgiftungsgene im Tier stilllegen", sagt Baldwin. Eine ganz
schön trickreiche Angelegenheit.
[JWK/CB]
Originalveröffentlichung:
Shree P. Pandey, Priyanka Shahi, Klaus Gase, Ian T. Baldwin
Herbivory-induced changes in the small-RNA transcriptome and
phytohormone signaling in Nicotiana attenuata
Proceedings of the National Academy of Sciences USA, Early
Edition. 13. März 2008
Shree P. Pandey, Ian T. Baldwin
RNA-directed RNA polymerase1 (RdR1) mediates the resistance of
Nicotiana attenuata to herbivore attack in nature
The Plant Journal 50, 40-53 (2007) |
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