Berlin, Germany
June 26, 2009
Quelle:
bioSicherheit
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Maria
Weimer ist Juristin und forscht seit Jahren über den
rechtlichen Umgang mit neuen Technologien,
wissenschaftlicher Ungewissheit und Risiken. Momentan
ist sie dabei, ihre Promotion am Europäischen
Hochschulinstitut in Florenz zu beenden, in der sie die
Anwendung des Vorsorgegrundsatzes in der EU Regulierung
von GVO untersucht. Weitere Forschungsgebiete sind das
Recht der öffentlichen Verwaltung, EU Recht und
Governance. Sie hat in der Vergangenheit auch als
Journalistin für den NDR und den Spiegel in Hamburg
gearbeitet. |
Interview mit der Juristin Maria
Weimer
„Auf dem Papier gibt es eine klare Trennung von Wissenschaft
und Politik. Doch die Realität sieht anders aus.“
Der EU-Rechtsrahmen und das
Verfahren zur Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen
stehen in der Kritik. Einige Mitgliedstaaten haben verschiedene
Reformvorschläge gemacht. bioSicherheit sprach darüber mit Maria
Weimer, die am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz
promoviert.
bioSicherheit: Seit einigen Jahren gibt es einen EU-weit
verbindlichen Rechtsrahmen für die Zulassung von gentechnisch
veränderten Organismen (GVO ). Einige Mitgliedstaaten sind damit
offenbar unzufrieden und haben Vorschläge für eine Reform
angekündigt. Was sind die Kritikpunkte?
Maria Weimer: Die Kritik ist sehr umfassend. Man muss
erst einmal trennen zwischen der Kritik an der Arbeit der
wissenschaftlichen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA )
und den Kritikpunkten, die sich auf das Risikomanagement, also
die Arbeit der Kommission und des Rates beziehen. Die Kernpunkte
der Kritik betreffen die Unabhängigkeit der EFSA, die
unzureichende Einbeziehung von nationalen Experten bei der
Risikobewertung sowie die Entscheidungsblockaden im Rat.
Zunächst muss man sich aber eins vor Augen führen: Das Verfahren
wie es heute gilt, wurde in den Jahren 2001 und 2003 von den
damaligen Mitgliedstaaten mitbeschlossen. Das heißt: Sie waren
damals neben dem Europäischen Parlament die Hauptautoren des
jetzigen Rechtsrahmens. Insofern haben sie das Verfahren
mitgetragen. Heute äußern viele Mitgliedstaaten, wenn nicht
sogar eine Mehrheit, starke Kritik an den Verfahrensregelungen.
Dabei hat sich die wissenschaftliche Lage nicht sehr verändert.
Es gibt keine wesentlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse
über Risiken, die von genetisch veränderten Produkten ausgehen.
bioSicherheit: Das derzeitige Zulassungsverfahren für GVO
trägt ja nicht dazu bei, Vertrauen aufzubauen. Auf Basis der
wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung der EFSA wird ein
Entscheidungsvorschlag erarbeitet, aber bei der Abstimmung im
Ministerrat blockieren sich die Mitgliedstaaten gegenseitig. Ein
Teil ist dafür, ein anderer dagegen. Wie kann man aus dieser
Situation herauskommen?
Maria Weimer: Indem man sich erst einmal vor Augen führt,
woran diese Blockadesituation liegt. Rechtstechnisch könnte man
sagen, die Mehrheitsverhältnisse, wie sie im Moment im Verfahren
vorgesehen sind, sind ungeeignet, um eine politische
Entscheidung effektiv herbeizuführen. Die Minister müssen sich
auf eine qualifizierte Mehrheit einigen, wenn sie den
Entscheidungsvorschlag der Kommission entweder annehmen oder
ablehnen wollen. Denn das Verfahren des Risikomanagements ist
ja, dass nicht allein der Rat endgültig entscheidet und auch
nicht allein die Kommission, sondern beide in Kooperation.
Man könnte sich überlegen, ob man künftig etwas an den
Mehrheitsverhältnissen ändert. Ich glaube aber, dass dieses
Problem nur vordergründig ist. Was dahinter steckt, ist
letztendlich die Verwirrung der Debatte und die Vermischung von
politischen und wissenschaftlichen Argumenten.
"Diese Stimmungslage kann man nicht allein mit
wissenschaftlicher Begutachtung verändern."
bioSicherheit: Politische Debatten um die Grüne
Gentechnik werden oft in Form von scheinbaren wissenschaftlichen
Kontroversen ausgetragen. Manchmal hat man den Eindruck, dass
wissenschaftliche Erkenntnisse etwa über die Sicherheit von
gv-Pflanzen durch politische Entscheidungen konterkariert
werden. Wie könnte man die Ebenen von Wissenschaft und Politik
besser und klarer voneinander trennen?
Maria Weimer: Ich denke, das ist ein schwieriges
Verhältnis. Zunächst einmal: Nach geltender Rechtslage gibt es
auf Verfahrensebene eine wunderbar klare Trennung zwischen
Wissenschaft und Politik. Genau das war auch eines der
wichtigsten Ziele der letzten Reform: Die EFSA ist allein
zuständig für die wissenschaftliche Risikobewertung, und die
Kommission zusammen mit dem Rat für das Risikomanagement, also
für die Entscheidung für oder gegen eine Zulassung, natürlich
auf Grundlage der Risikobewertung. Das heißt: Auf dem Papier
gibt es diese Trennung. Die Realität sieht leider anders aus,
sowohl im Prozess der Entscheidungsfindung, als auch in der
Debatte, die in den Mitgliedstaaten geführt wird.
Ich glaube, man erhofft sich von der Wissenschaft eine
Legitimation, die man sonst nur schwierig erlangen kann. Viel
akuter als die wissenschaftlichen Befürchtungen über Risiken für
Umwelt und Gesundheit ist letztlich die Frage, ob die EU-Bürger
GVO-Produkte wollen. Mir scheint, dass die Bürger sie nicht
wollen – aus einem verständlichen Grund. Sie sehen die Vorteile
für sich nicht, sie sehen nicht, warum sie sich auf die
Ungewissheiten dieser neuer Technologie einlassen sollen. Diese
Stimmungslage wird wiedergegeben als etwas, was mit
wissenschaftlicher Begutachtung geändert werden könnte. Die
Politik müsste wirklich offener damit umgehen und eine
politische Debatte über die sozialen Vor- und Nachteile von GVO
führen.
bioSicherheit: Wenn es nicht offensichtliche
Sicherheitsmängel gibt, haben die Mitgliedstaaten kaum
rechtliche Spielräume, sich gegen ein GVO-Produkt auszusprechen.
Dennoch will man mit Rücksicht auf die Haltung der Bürger
politisch anders entscheiden. Lässt sich das Spannungsfeld
auflösen?
Maria Weimer: Es gibt hier keine einfachen Lösungen. Fest
steht jedoch: Der harmonisierte Rechtsrahmen, zusätzlich noch
die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten Mitglied der
Welthandelsorganisation WTO sind, lässt Abweichung auf der Ebene
der Mitgliedstaaten nur zu, wenn neue wissenschaftliche
Erkenntnisse vorliegen. Über die WTO sind die Mitgliedstaaten
die Verpflichtung eingegangen, dass keine Handelsbeschränkungen
erlassen werden dürfen, die nicht wissenschaftlich fundiert
sind. Das ist auch der Gedanke hinter dem harmonisierten
Rechtsrahmen, den die Mitgliedstaaten damals beschlossen haben.
Sie haben damit ihre Kompetenz an die EU übergeben und sich
strikteren Anforderungen an nationale Alleingänge unterworfen.
Man hatte eben das Ziel, den freien Verkehr von GVO-Produkten zu
ermöglichen und gleichzeitig ein hohes Gesundheitsniveau zu
sichern.
"Die Mitgliedstaaten können nicht an einem harmonisierten
Rahmen festhalten und gleichzeitig auf lokaler Ebene selbst
entscheiden wollen."
bioSicherheit: Landwirtschaftminister Seehofer und die
CSU wollen sich dafür einsetzen, dass die EU nur noch für die
Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen zuständig ist.
Über deren Anbau sollen die Regionen – etwa ein Bundesland oder
Landkreis – entscheiden.
Maria Weimer: Politisch klingt das ja nicht
unsympathisch. Wenn die Kommunen entscheiden, hat es den
Anschein von Subsidiarität. Nur: Rechtlich ist das schwieriger.
Subsidiarität meint, dass Entscheidungen dann auf lokaler Ebene
getroffen werden müssen, wenn sie besser dort entschieden werden
und nicht auf zentraler, europäischer Ebene. Vor fünf bis sieben
Jahren hat man eigentlich gedacht, die EU kann es besser machen,
darum hat man eine entsprechende Gesetzgebung geschaffen.
Es gibt auch Bereiche, die auf EU-Ebene rechtlich nicht
harmonisiert sind. Dort haben die Mitgliedstaaten etwas mehr
Spielraum und können verschiedene Gründe anbringen, warum sie
die Warenverkehrsfreiheit einschränken. Wenn man aber einen
Bereich harmonisiert, und ein Gesetz auf europäischer Ebene und
ein gemeinsames Verfahren schafft, so wie es bei den GVO der
Fall ist, dann unterwirft man sich strikteren Anforderungen. Im
Moment ist die Lage so: Nur bei neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen kann ein Mitgliedstaat von der gemeinsamen
Entscheidung abweichen. Allerdings könnte man bei einer Reform
über klar begrenzte Ausnahmefälle nachdenken, um spezifischen
lokalen Bedingungen wie etwa Naturschutzgebieten besser Rechnung
zu tragen.
Zusammengefasst: Die bayerischen Vorschläge sind ein ganz klarer
rechtlicher und logischer Widerspruch. Die Mitgliedstaaten
können nicht an einem harmonisierten Rahmen festhalten und
gleichzeitig auf lokaler Ebene selbst entscheiden wollen, um
etwa "gentechnik-freie" Zonen zu schaffen. Das beißt sich mit
dem Grundsatz, dass es einen freien Warenverkehr auch mit GVO
geben soll. Dann wäre es konsequent, diesen Bereich aus der
Harmonisierung herauszunehmen. Aber ich glaube nicht, dass das
rechtlich und politisch eine Option ist.
"Die Wissenschaft kann nicht alle Entscheidungen für die
Gesellschaft treffen."
bioSicherheit: Ein anderer Vorschlag ist, bei der
Zulassung von GVO nicht nur nach wissenschaftlichen Kriterien zu
entscheiden, sondern auch soziökonomische Kriterien
miteinzubeziehen. Besteht nicht die Gefahr, dass solche
"weichen" Kriterien willkürlich angewandt werden?
Maria Weimer: So wie Sie die Frage formulieren, steckt
dahinter die Vorstellung, dass nur das, was wissenschaftlich
begründet ist, sozusagen handfest ist. Wenn etwas nach anderen
Kriterien entschieden wird, dann ist es "soft" und willkürlich.
Ich halte das für etwas vereinfacht. Aus der soziologischen
Forschung wissen wir: auch der wissenschaftliche Prozess ist ein
sozialer Prozess. Wissenschaftliche Untersuchungen und die dabei
gefundenen Ergebnisse sind nicht rein objektiv, sondern auch
geprägt von Werten und Glaubenseinstellungen der Wissenschaftler
und von dem Auftrag, den die Wissenschaftler von der Politik
bekommen haben. Die Wissenschaft liefert keine so harte und
objektive Grundlage, wie man es gerne haben möchte.
Die Berücksichtigung sozioökonomischer Kriterien bei der
Zulassung von GVO wie sie derzeit etwa von Frankreich gefordert
wird, ist ja nicht etwas ganz Neues. Nach geltendem Recht kann
die Kommission andere "legitime Faktoren" heranziehen, wenn sie
auf der Grundlage der EFSA-Bewertung über eine GVO-Zulassung
entscheidet. Was das genau ist, ist nicht eindeutig definiert,
aber klar ist, dass es nicht-wissenschaftliche Faktoren sein
müssen. In der Praxis, schätze ich, geschieht die
Berücksichtigung nicht oder nicht offen. Sozioökonomische
Aspekte – etwa die Abwägung, welche Auswirkungen der Anbau von
gv-Saatgut in einem bestimmten Territorium für die
konventionelle Landwirtschaft hätte – werden unter dem
Deckmantel von Wissenschaftlichkeit versteckt. Es wäre ganz
wichtig, dass man sich bei der Reform des
GVO-Zulassungsverfahrens offen darüber verständigt, welche
Überlegungen neben den Risiken für Umwelt und Gesundheit und
ihrer wissenschaftlichen Bewertung noch in den
Entscheidungsprozess einfließen dürfen. Und man müsste diese
gegebenenfalls deutlich formulieren und zusätzlich für
Verfahrensgarantien sorgen, damit ihre Berücksichtigung in einer
transparenten Art und Weise geschieht. Das ist auch deswegen so
wichtig, weil die Wissenschaft nicht alle Entscheidungen für die
Gesellschaft treffen kann.
bioSicherheit: Doch was könnten solche "legitimen
Faktoren" sein? Und wie schafft man es, dass sie in einer
objektiven, nachvollziehbaren Weise bewertet werden können? Ist
die Gefahr von Willkür nicht sehr groß?
Maria Weimer: Solche Faktoren können wirtschaftliche,
soziale oder ethische Erwägungen betreffen, aber auch
gesellschaftliche Traditionen wie etwa die Esskultur. Willkür
der öffentlichen Verwaltung vermeidet man durch
Kontrollmechanismen, im Fall der GVO-Zulassungen etwa die
wissenschaftliche Risikobewertung oder eine stärkere Beteiligung
der Öffentlichkeit. Die Kommission könnte etwa verpflichtet
werden, bei ihrer Zulassungsentscheidung zu begründen, wie sie
die Kommentare der Öffentlichkeit berücksichtigt hat. Das ist im
Moment nicht der Fall. Letztlich müssen wir aber der Verwaltung
ein Ermessen einräumen und darauf vertrauen, dass sie dieses
nicht willkürlich anwendet. Und man braucht natürlich einen
effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.
bioSicherheit: Ist es rechtlich möglich, die
GVO-Zulassungsverfahren kurzfristig zu ändern? Oder geht das nur
über langwierige Änderungen der entsprechenden EU-Verordnungen?
Maria Weimer: Man kann die bestehenden Regelungen nur
nach dem gleichen Verfahren ändern, nach dem sie geschaffen
wurden. Parlament und Mitgliedstaaten müssen mit Mehrheit
zustimmen, die Mitgliedstaaten sogar mit einer qualifizierten
Mehrheit. Da gibt es keine andere Möglichkeit.
bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch. |
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