Berlin, Germany
April 22, 2004
“Nach den Bauern die Bäcker.
Schleuderpreise führen zu einer ruinösen Verdrängung. Es gibt
immer wieder jemanden, der es noch billiger machen kann. So
wörtlich oder ähnlich in verschiedenen Zeitungskommentaren!” Das
betonte der Präsident des
Deutschen Bauernverbandes (DBV), Gerd Sonnleitner, in der
neuesten Ausgabe der Deutschen Bauernkorrespondenz. Es seien
längst nicht mehr allein die Bauern, und ganz besonders die
Milcherzeuger, die spürten, dass hier etwas faul sei und statt
Marktwirtschaft viel eher ein zunehmend zerstörerischer
Kannibalismus vorliege. Nach Ansicht des DBV-Präsidenten haben
dafür viele Mitbürger ein Gespür. Das sei auch der Grund, warum
die bundesweiten Protestaktionen des Berufsstandes gegen die
Milchpreispolitik des Lebens¬mitteleinzelhandels ein großes und
positives Echo in der Öffentlichkeit und auch in den Medien
erfahre.
Es könne nicht ungeschehen gemacht werden, dass zuerst die große
Politik bei Milch die Weichen auf Preissenkung gestellt hat.
Diese Entscheidungen der EU seien nicht zuletzt vor dem
Hintergrund der WTO-Verhandlungen derzeit nicht revidierbar.
Dies könne und dürfe jetzt aber nicht seine beliebige
Fortsetzung in einer nochmaligen Benachteiligung der
Milcherzeuger bei der nationalen Umsetzung der
EU-Agrarreformbeschlüsse finden, mahnte Sonnleitner. Auch wenn
sich der Gesetzentwurf der Bundesregierung bis heute
insbesondere auch gegen die Milchbauern richte, seien der
Einsatz des Berufsstandes und die zahlreichen Gespräche mit
Politikern auf Bundes- und Landesebene nicht umsonst gewesen.
Vielmehr seien es äußerst wichtige Teilerfolge, betonte der
DBV-Präsident, dass das Gesetz im Vermittlungsausschuss
verhandelt werden müsse und ernsthaft über eine Verschiebung des
Gleitfluges diskutiert werde.
Nach Meinung von DBV-Präsident Sonnleitner ist jede Seite
gefordert und muss etwas bringen. Fest stehe, dass dem
Lebensmitteleinzelhandel die bundesweiten Aktionen der
Bäuerinnen und Bauern immer lästiger werden. Zudem hätten die
Manager inzwischen erfahren, dass bloßes Aussitzen nicht
ausreiche und sie sich dadurch vielmehr selbst zum Buhmann
machten und ihr gutes Geschäft verderben. Jetzt komme es darauf
an, dass die Molkereien das entstandene Interesse und
Verständnis für die landwirtschaftlichen Argumente auf der
Handelsseite nutzen. “Unsere Molkerein müssen wissen”, erklärte
Sonnleitner, “dass sie nur dann eine Kraft sind, wenn sie bei
den Listungsgesprächen Geschlossenheit und Disziplin bewahren.”
Laut Sonnleitner muss aber auch gegenüber der Politik ständig
nachgesetzt werden. So müsse das Kartellrecht den Molkereien
mehr Möglichkeiten zu Kooperationen geben. Ebenso habe der DBV
der Politik angeboten, in Deutschland andere Saldierungsregeln
zu etablieren, um den Mengendruck zu mildern. Bundesministerin
Renate Künast habe bereits Interesse signalisiert. Auf
Unverständnis stoße es bei Sonnleitner allerdings, dass die
Ministerin es ablehne, auch in Brüssel massiv vorstellig zu
werden. “Hier werden wir hart nachsetzen, zumal jetzt auch COPA
in aller Deutlichkeit auf das strukturelle Ungleichgewicht auf
dem EU-Milchmarkt verweist und fordert, die ab 2006
vorprogrammierten Quotenaufstockungen zu überdenken.”
Im Vermittlungsausschuss wird nach Ansicht des DBV-Präsidenten
voraussichtlich auch das Gentechnikgesetz landen. Es könne nicht
angehen, dass der Gesetzgeber die Landwirte, die sich an Recht
und Ordnung halten, verschuldensunabhängig in die Haftung nehme.
Während sich die Fundamentalisten – bei den Befürwortern und bei
den Gegnern – leicht täten, habe der DBV einen schwereren Part:
“Wir nehmen die Koexistenz ernst, wir wollen eine echte
Wahlfreiheit bei Bauern und Verbrauchern gewahrt sehen.”
Schließlich habe es die Argumentationskraft und die
Glaubwürdigkeit des Berufsstandes deutlich gestärkt, dass
zahlreiche Landwirte als erste und in mehreren Bundesländern
gentechnikfreie Zonen organisiert haben.
Zwar seien ab dem 18. April 2004 die neuen
Kennzeichnungsvorschriften für Nahrungsmittel und Futtermittel,
die GVO enthalten oder daraus bestehen, in Kraft getreten. Dies
werde aber nichts an der Tatsache ändern, dass Gentechnik seit
Jahr und Tag längst in Europa angekommen sei, dass in den
Lebensmittelregalen etwa 20 000 Lebensmittel seien, die mit
Hilfe der Gentechnik hergestellt wurden und dass die europäische
Viehwirtschaft nicht ohne Zufuhr von Millionen Tonnen
Eiweißfutter mit GVO-Anteilen aus Drittländern auskomme. Ebenso
klar müsse aber auch sein, so Sonnleitner, dass es in der
deutschen Landwirtschaft derzeit keinen Anbau von
Gentechnikpflanzen gebe. Dennoch seien die Politiker sowohl in
Brüssel als auch in Berlin und den Ländern aufgefordert, zur
redlichen Koexistenz und Wahlfreiheit endlich die notwendige
Rechtssicherheit zu schaffen, appellierte Sonnleitner. |